Die schaffen das schon – Expat Kinder im Ausland
Jedes Jahr entsenden deutsche Firmen tausende von Spezialisten ins außereuropäische Ausland. Diese Fachkräfte, die für kurze Zeit außerhalb ihrer Heimat leben, werden Expatriates (kurz Expats) genannt. Doch nicht nur sie verlassen ihre Heimat – in vielen Fällen folgt ihnen auch ihre Familie. Was bedeutet das für die Kinder solcher Familien? Dieser Frage gehen der Filmemacher Christoph Bertolo und der Fotojournalist Mathias Ernert in ihrem Dokumentarfilm „Die schaffen das schon – Expat-Kinder im Ausland“ nach.
Mathias Ernert wuchs in Äthiopien, Indien und Peru als Sohn eines Juristen auf. Er kennt die Fragen und Herausforderungen, mit denen Kinder und Eltern in einer solchen Situation konfrontiert sind. Aus eigener Erfahrung weiß er, wie es sich anfühlt, aus der gewohnten Umgebung herausgerissen zu werden und in eine völlig fremde Kultur zu kommen. Solche sogenannten Expat-Kinder beginnen mehr und mehr zwischen den Kulturen zu leben. Sie können ab einem gewissen Punkt weder der Heimat- noch der Gastkultur zugeordnet werden. Es bildet sich eine eigene, dritte Kultur heraus, die nicht regional verankert ist. Dieser dritten Kultur gehören alle Expat-Kinder an, denn sie definiert sich über deren gemeinsames Gefühl von gleichzeitiger Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zu mehreren Kulturen. Aus diesem Grund werden sie auch unter dem Begriff „Third Culture Kids“ (im Folgenden kurz TCKs) gefasst. Ganz ähnlich zweier Deutscher, die sich im Ausland treffen, fühlen sich TCKs, egal wo sie herkommen und in welchen Ländern sie aufgewachsen sind, einander verbunden.
Die Entwicklung der TCKs wird maßgeblich durch die positiven wie negativen Erfahrungen beeinflusst, die sie im Rahmen der Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt, der Zeit im Ausland sowie der späteren Rückkehr in die ursprüngliche Heimat machen. Der Film möchte auf die Chancen und Risiken aufmerksam machen, die eine solche Kindheit mit sich bringt. TCKs profitieren beispielsweise von ihrer Anpassungsfähigkeit. Wie ein Chamäleon bewegen sie sich durch fremde Kulturen, entschlüsseln beiläufig kulturelle Codes, passen sich an und lernen schnell neue Sprachen. Der Zugang zu fremden Kulturen und Gesellschaften ist für sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Kinderspiel. Bereits in ihrer Kindheit sind sie direkt mit verschiedenen politischen Systemen wie zum Beispiel Diktaturen, gesellschaftlichen Missständen, Armut oder geographischen und klimatischen Besonderheiten wie Trocken- und Regenzeiten konfrontiert. Unter Umständen erleben sie Naturkatastrophen oder Kriege. Daraus erwächst eine besondere Sensibilität für die Vorkommnisse in der Welt, die sie später zu aufmerksamen und einfühlsamen Weltenbürgern machen. Aber auch die Erfahrung von Verlust und Trennung spielen im Leben von TCKs eine große Rolle und beeinflussen ihre spätere Beziehungsfähigkeit. Die Herausbildung der eigenen Identität und die Ablösung von den Eltern während der Pubertät werden in stets wechselnden und als instabil wahrgenommenen Verhältnissen erschwert. TCKs stehen Autoritäten oft kritisch gegenüber, sind sie doch verantwortlich für die Zerrissenheit, die sie empfinden. Kaum haben sie sich eingewöhnt, wird ein Elternteil erneut versetzt und sie müssen in einem neuen Land von vorne anfangen. Das Wissen um die Vergänglichkeit ihrer Zeit an einem Ort macht sie später im Leben häufig rastlos.
Das Filmteam wird von der Ethnologin Dr. Marie Sander, die drei Jahre an einer deutschen Schule in Shanghai das Phänomen der Third Culture Kids erforschte, wissenschaftlich beraten. Christoph Bertolo studierte Ethnologie und Politikwissenschaft und ist hauptberuflicher Filmemacher und Dozent für ethnografischen Film an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Mathias Ernert bringt neben seiner journalistischen und persönlichen Erfahrung auch einen großen Filmschatz aus den 1960er Jahren in das Projekt mit ein. Sein Vater, damals begeisterter Hobbyfilmer, hielt alles – von der Familiensafari bis hin zum gewaltigen Staatsritual des damaligen Kaisers Haile Selassie – auf 8 mm fest. Teile dieses Materials werden im Film zu sehen sein. So eröffnet der Film einen Blick auf das Phänomen der Third Culture Kids von damals bis heute vor der besonderen Kulisse Äthiopiens.