Neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit in der Wissenschaft
Der Sonderforschungsbereich „Materiale Textkulturen“ hat seit Anfang seines Bestehens die Öffentlichkeitarbeit, also den Public Outreach seiner Forschung auf die Fahnen geschrieben. Friederike Elias und Christian Vater betreiben in Ihrem Teilprojekt zur Wissenschaftskommunikation konsequent die Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse des SFB 933 über neue Medien und sind damit regelmäßig in Presse und Fernsehen, wie jüngst bei Spiegel Online, Deutschlandfunk, SWR2 und im ZDF. Dazu kommen Kooperationsprojekte mit Wikimedia Deutschland sowie ein Sonderheft von Spektrum der Wissenschaft.
Die Interviewfragen wurden von den beiden Projektbeteiligten Vater und Elias gemeinsam schriftlich beantwortet.
Welche Argumente sprechen für ein Teilprojekt Öffentlichkeitsarbeit, und wie hat das mit dem Forschungsgegenstand selbst zu tun?
Zwar verfügt unsere Universität über eine professionelle Kommunikationsabteilung, aber durch unsere kontinuierliche Mitarbeit innerhalb des Forschungsverbundes sind wir sehr gut in die Themen, Theorien und Methoden des Sonderforschungsbereichs eingearbeitet und können daher unsere Formate und Angebote passgenauer auf die Projektinhalte zuschneiden. In unserem Fall besteht auch ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Konzepten, die wir anwenden und der theoretischen Ausrichtung des Sonderforschungsbereichs in dem – ganz grob – die Geschichte der Schrift und ihrer Materialität erforscht wird, beginnend mit den frühesten Keilschrifttafeln und Hieroglyphentexten bis zur Erfindung des Buchdrucks. Somit geht hier auch um Medienwandel und mediale Kontinuität, um das Verhältnis von Schreib- und Lesegewohnheiten zur technologischen Entwicklung. Die Theorien und Modelle, die uns helfen, mit den historischen Befunden umzugehen, können wir auch auf gegenwärtige Probleme und Herausforderungen anwenden und in die Medien-Praxis zeitgemäßer Wissenschaftskommunikation übertragen.
Wie wichtig ist die Öffentlichkeitsarbeit für einen Forschungsverbund wie einen SFB?
Unsere Kolleginnen und Kollegen forschen zu spannenden Themen und schreiben großartige Texte über ihre Ergebnisse, die wir sogar OpenAccess veröffentlichen. Wir sind der Meinung, dass man ruhig ungewohnte mediale Kanäle nutzen kann, um diese Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und auf die Texte hinzuweisen. Außerdem werden wir aus Steuermitteln finanziert – und sind deshalb der Meinung, dass wir dazu verpflichtet sind, der interessierten Öffentlichkeit etwas Interessantes zurückzugeben.
Gibt es Vorgaben zu diesem Thema von Seiten der Geldgeber (DFG)?
Ja. Die DFG fördert professionelle Wissenschaftskommunikation aktiv, z.B. durch das Angebot, ein Teilprojekt Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs zu beantragen. Eine Vorgabe ist hier deutlich, dass wir keine Arbeit machen dürfen, die bereits an anderer Stelle erledigt wird – wir sollen weder die Pressestelle unserer Universität verdoppeln noch die Aufgaben der zentralen Geschäftsstelle unseres SFB übernehmen. Wir dürfen – und sollen – ausprobieren und erkunden. Außerdem sind wir dazu angehalten, die praktischen Ergebnisse unserer Arbeit – seien es Medien-Konzepte, Veranstaltungs-Formate oder institutionelle Kontakte – nachhaltig zu verankern, also so in unserer Universität zu vermitteln, dass sie auch über die Förderlaufzeit unseres SFB hinaus bestand haben.
Welche Maßnahmen haben Sie bisher unternommen und wie war die Resonanz?
Die größte Resonanz hat bisher unsere Arbeit in der Wikipedia und mit den Wikipedianerinnen und Wikipedianern erhalten: Ein Höhepunkt war hier eine mehrtägige Schreibwerkstatt im Antikenmuseum der Universität Heidelberg, die wir gemeinsam mit der ehrenamtlichen Wiki-Redaktion Altertum und dem Institut für Klassische Archäologie ausgerichtet haben. Anlässlich dieser Schreibwerkstatt wurde auch ein offizieller Kooperationsvertrag der Universität mit Wikimedia Deutschland geschlossen, und der Südwestfunk und die Rhein-Neckar-Zeitung berichteten. Begleitend zu einer passenden Lehrveranstaltung haben wir gemeinsam mit Wikipedianern vor Ort erst eine Wiki-AG und dann reguläre Wiki-Übungen angeboten – was wiederum den Deutschlandfunk, die Stuttgarter Zeitung und die Online-Sparte des ZDF interessiert hat. Folgeveranstaltungen sind in Planung, zum Beispiel in der UB Heidelberg zur Bibliotheca Palatina, und unsere Studierenden sind ebenfalls begeistert.
Neben unserer Wiki-Arbeit haben wir in einer zweiten Projektlinie gemeinsam mit einem professionellen Dokumentarfilmmacher ein Web-Video-Konzept für unseren SFB entworfen, das auch ein schönes und gleichzeitig niedrigschwelliges „Do it Yourself“-Format enthält („3-Minuten-Wissenschaft“). In einer dritten Projektlinie entwickeln wir mit Kooperationspartnern vor Ort in den Geowissenschaften, der Informatik und der Pressestelle einen digitalen Stadtspaziergang, der zu den Forschungsvorhaben unseres SFBs passen wird.
Nebenbei haben wir noch gemeinsam mit dem Heidelberg Center for Cultural Heritage die Akademische Mittagspause 2015 unter dem Titel „5.300 Jahre Schrift“ veranstaltet, eine mittägliche Vorlesungsreihe an jedem Tag der Vorlesungszeit, die jeden Tag zwischen 80 und 120 Gäste interessiert hat, und deren Texte wir zur Zeit in den Druck bringen. Ein Sonderheft von Spektrum der Wissenschaft, das ausschließlich mit Beiträgen aus unserem Forschungsverbund gefüllt ist, trägt den Titel „Die Magie der Schrift“ und ist seit September 2016 im Handel.
Die Wikipedianerinnen und Wikipedianer im deutschsprachigen Raum scheinen unsere Arbeit auch für unterstützenswert zu erachten: Auf der vergangenen Wiki-Con in Stuttgart wurde unser Teilprojekt mit der „WikiEule“ in der frisch eingeführten Kategorie „SchwingenEule“ – Türöffner in Wissenschaft und Institutionen – ausgezeichnet.
Welche Bedeutung hat Film in der Wissenschaftskommunikation? Was haben Sie bisher in diese Richtung unternommen?
Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit stehen geschriebene Texte. Grundlage einer zeitgemäßen Öffentlichkeitsarbeit sind eine gut strukturierte und aktuelle Webseite sowie ganz traditionell passende Pressemitteilungen. Allerdings kann es ein passendes Ziel der Wissenschaftskommunikation sein, in den hochgradig interaktiven und komplex vernetzten „Sozialen Medien“ sichtbar zu werden – und sich in den online-Diskurs einzuklinken. Hier kann ein gut gemachtes Webvideo sehr hilfreich sein, da bewegte Bilder mit Ton für die Nutzer von Twitter oder Facebook durchaus interessant sein können. Hierfür darf ein Web-Video aber nicht zu lang sein, es darf ruhig ein wenig witzig sein, es darf wissenschaftlich nicht falsch sein und es muss auf den Punkt kommen. In Kombination ist das gar nicht so einfach, wie es klingt – „virale“ Verbreitung ist sehr selten und voraussetzungsreich. Eine gute Videosektion auf der eigenen Homepage und eine Rubrik im zentral kuratierten YouTube-Kanal der Universität sind aber kein unpassender erster Schritt. Außerdem eignet sich das Medium „Film“ besonders gut dafür, die Arbeit unseres SFB theoriegeleitet vorzustellen. Durch die Verbindung von laufenden Bildern und Ton kann man besonders gut bestimmte interessante Aspekte schrifttragenden Artefakte veranschaulichen – und auch vorführen, welche Praktiken an ihnen vollzogen werden können oder vollzogen worden sind.
Kooperationsprojekt zwischen FlexX Film und dem Teilprojekt Öffentlichkeitsarbeit des SFB Materiale Textkulturen
Hypertext. Eine kleine Ideengeschichte – Fast Forward Science 2017
Gibt es schon jetzt erkennbare positive Effekte durch ihre Arbeit?
In unseren Lehrveranstaltungen konnten wir – am Beispiel der Wikipedia – auch auf zentrale theoretische Überlegungen unseres SFB eingehen, und so forschungsnah ausbilden. Außerdem fördert die Arbeit in der Wikipedia mit Studierenden kritische Medienkompetenz – wenn ich hinter das Interface geschaut und mitgemacht habe, kann ich auch viel besser einschätzen, wie ein Artikel in dieser allgegenwärtigen Online-Enzyklopädie entsteht, und wie ein kollaboratives Online-Repositorium funktioniert.
Wir gehen davon aus, dass unser SFB an unserer Universität und vielleicht darüber hinaus auch durch unsere Arbeit ein wenig an Sichtbarkeit gewonnen hat – vielleicht auch jenseits der Fachwelt.
Die Kooperation mit Wikipedia hat medial große Wellen geschlagen. War das das Ziel?
Nein. Wir sehen in der Wikipedia als Phänomen einen spannenden und vielschichtigen Forschungsgegenstand, der sich sehr gut mit den Mitteln und auf Grundlage der Theorieangebote unseres SFBs untersuchen lässt. Außerdem war es uns wichtig, einen Zugang zur Wikipedia und den Wikipedianerinnen und Wikipedianern zu finden, um uns gemeinsam darüber Gedanken zu machen, auf welche Weise die Forschungsergebnisse unseres SFB passend in die größte Online-Enzyklopädie der Welt einfließen und den aktiven ehrenamtlichen Schreiberinnen und Schreibern zur Verfügung gestellt werden können – wir wollen ja Wissenschaftskommunikation betreiben, und nicht Wissenschafts-PR.
Welche Konsequenzen hat ihre Arbeit auf die Zeit nach dem SFB? Werden die Forscher selbst und der Standort Heidelberg davon profitieren?
Es sieht ganz danach aus: Unsere Workshops, in denen wir an unserer Universität anderen Wissenschaftskommunikatorinnen und –kommunikatoren unsere Ergebnisse vorstellen, sind gut besucht. Einige Kolleginnen und Kollegen haben über uns ungewöhnliche Medien der Wissenschaftskommunikation kennengelernt und werden wohl auch weiterhin in diesen arbeiten. Und unsere Studierenden nehmen in unseren Kursen Fertigkeiten und Erkenntnisse mit, auf die sie ihr gesamtes Leben über zurückgreifen können.
Vielen Dank für dieses Interview!